MAGIE GEHEIMWISSENSCHAFT

Die Welt der Magier

Furcht vor zwar entfernter, aber drohender Gefahr beherrscht die Welt der Ma­gie. Da sie unbekannt ist, ist sie besonders gefährlich. Hauptziel jeden menschli­chen Handelns ist es, schädlichen Elementen Einhalt zu gebieten oder sie zurück­zudrängen. Der Mensch widersetzt sich ihnen, indem er feste Bindungen zu guten Elementen knüpft. Die Methoden dieses von der Angst geleiteten Selbstschutzes kamen ursprünglich aus der Überlieferung. Plinius schrieb, Magie fuße auf der empirischen Kenntnis der Medizin. In vielen Fällen kann man die Ursache des Bösen leicht ausmachen. Dies gilt vor allem, wenn der primitive Mensch die Ge­fahrensymptome schnell und leicht erkennt. Bei Verletzungen weiß er, wie er die Ursache des Übels beseitigen und die Heilung herbeiführen kann. Er entfernt ei­nen Dorn, zieht einen Pfeil heraus oder löst einen Strick. Ihm ist auch bekannt, daß viele Krankheiten durch Parasiten oder gefährliche Tiere hervorgerufen werden. Also muß man sich von ihnen fernhalten, sich vor Berührung mit ihnen hüten oder sie töten. Der primitive Mensch kennt die Gefahren, die sich aus at­mosphärischen Bedingungen wie Regen, Unwetter oder Blitz ergeben können. Er hat gelernt, in Höhlen, unter Laubdächern oder in abgeschlossenen Räumen Schutz zu suchen. Es ist also nur logisch, wenn allen Lebewesen und Dingen, die Böses bewirken können wie Dornen, Steine, Parasiten, Schlangen, Regen oder Blitz bewusste eigenständige Lebenskräfte zugesprochen werden. Der Mensch schließt alles in das Böse ein, das durch den Willen belebt ist, ihm zu schaden. Dazu gehören auch höhere Kräfte, die ihn verletzen könnten. Dem Menschen günstig gesinnte Wesen und Substanzen hält er gleichfalls für belebt: Sonne, Ster­ne, Haustiere, Pflanzen, schützende Kleidungsstücke und Ahnen, die ihn vertei­digen oder anleiten. Diese animistische Auffassung ist ein möglicher Weg zur Magie.

Durch eine Entwicklung, deren einzelne Schritte nicht mehr nachzuvollziehen sind, hat sich eine komplexe, manchmal systematische Hierarchie mächtiger We­sen herausgebildet. Ihre Stärke und die von ihnen ausgehende Gefahr liegt in der Schwierigkeit, sie anzusprechen. Sie sollen dem Menschen und seinen Bedürfnis­sen unterworfen werden. In dieser Hierarchie nehmen Himmelskörper, vor allem die Sonne, den wichtigsten Platz ein. Jedes belebte oder unbelebte Wesen (d. h. alles in der Umgebung des Menschen mit den Sinnen Erfassbare oder durch Phan­tasie Zugängliche) hat seinen Platz. Die majestätischen Bäume mit ihrem herrli­chen Blätterwerk oder die hohen Gipfel der unbezwingbaren Berge, die lange Schatten werfen und den Blick in die Ferne versperren, erscheinen dem Men­schen wie wunderbare und unerklärliche Beispiele einer übermenschlichen Grö­ße, die außerhalb seiner Reichweite liegt. Die wilden, tosenden Flüsse scheinen in ihren Fluten unendliche Versprechungen und unbekannte Gefahren mitzutra­gen. Den Menschen ängstigen auch die großen Blumen mit ihren lebhaften Far­ben und dem betäubenden Duft. Er fürchtet sich vor den tödlichen Giften in den Pflanzen, vor den Tieren, die ihm häufig physisch überlegen zu sein scheinen und es auch sind. Man denke nur an die wunderbaren Metamorphosen der Insekten, die perfekten Gemeinwesen bei Bienen und Ameisen, die Kraft der Vögel, sich in die Lüfte zu erheben, oder die Möglichkeit anderer Tiere, in der Tiefe des Erdreichs zu verschwinden. Auch unter Menschen gibt es große Unterschiede. Einer übertrifft den anderen, weil er besondere Fähigkeiten besitzt. Menschen mit besonders kräftigem Körperbau oder Verkrüppelungen, mit seltener Haar ­oder Augenfarbe, kurz Menschen mit physischen Eigenschaften, die sich von der Allgemeinheit abheben, sollen vom Guten oder Bösen gezeichnet sein. Sie besit­zen die Fähigkeit, einen außergewöhnlich guten oder bösen Einfluss auszuüben.

Aus diesen Überlegungen kann ein Stammesmystizismus entstehen, der zu Aber­glauben oder Rassenhass führt. Menschen anderer Rassen sollen gefährlich und schädlich sein, da sie sich durch die Farbe ihrer Augen, ihrer Haut oder andere äußere Merkmale zu unterscheiden scheinen. Sie weichen von der Allgemeinheit ab. Daraus erklärt sich die Feindseligkeit gegenüber Menschen anderer Rassen. In dieser primitiven Auffassung ist der Ursprung des Rassenhasses zu suchen, der sich unter bestimmten Bedingungen und zu bestimmten Zeiten deutlich und zu allem entschlossen äußert.

Ist der Mensch vom günstigen oder schädlichen, auf jeden Fall aber ausschlag­gebenden Einfluß zahlloser äußerer Kräfte auf sein Leben überzeugt und kann keine Handlung dem Einfluß dieser Kräfte entzogen werden, versucht der Mensch mit allen Mitteln, stärker als sie zu werden, um sie zu lenken. Der Mensch hat Tiere gezähmt, weil er Waffen herstellen konnte. Er hat schwächere Men­schen und Feinde besiegt, die eine Gefahr darstellten, und sie sich untertan ge­macht. Er hat die Widrigkeiten der Natur bezwungen, indem er sich einen Schutz schuf. Die Möglichkeit oder die Notwendigkeit, ein Mittel zu finden, unsichtbare Feinde zu bezwingen, die man weder physisch beherrschen noch durch Waffen unterwerfen kann, tritt deutlich zutage. Außerdem muß das Leben des einzelnen oder einer Gruppe vor schädlichen Elementen geschützt werden. Diese Elemente bringen in mancherlei Hinsicht die gleichen Übel hervor wie jene, die von Kräften bewirkt werden, die dem primitiven Menschen schon bekannt sind, da er sie be­zwungen hat. Sie begünstigen oder schützen die schädlichen Elemente. Defensive und Offensive bauen auf dieser Denkweise auf und werden damit begründet.

Es war also notwendig, Befruchtung, Schwangerschaft, Geburt und alle we­sentlichen Dinge zu schützen, auf die das Leben und die Kraft der Gruppe zu­rückgehen. Die phallischen Riten und die frühgeschichtlichen Monumente, die gigantische Fortpflanzungsorgane darstellen, beweisen, daß der Gedanke des Weiterlebens schon in ältester Zeit ein Eckstein der Gesellschaftsordnung war. Den Geschlechtssymbolen gab man schützende vorbeugende Kräfte. Die Magie setzt diese Waffen ein, um sichtbare und unsichtbare Kräfte zu identifizieren und zu zwingen, sich zum Nutzen des einzelnen oder der Gruppe zu verwenden.

Auf der Suche nach Schutz oder Ausflucht suchte der Mensch in den Geheimnis­sen des Lebens und Sterbens der Natur Beispiel und Warnung. Er schützte sein Leben durch laute und misstönende Geräusche, Feuer und grelle Farben. Da­durch wollte er sich Feinde fernhalten. Sie sollten bis ins Mark erschrecken. So wie man Tiere beruhigt oder selbst beruhigt werden will, versuchte der primitive Mensch, feindliche Kräfte günstig zu stimmen. Daher brachte er ihnen Speisen und tatsächliche oder fiktive Opfer dar. Diese Auffassung führte zweifelsohne zu zahlreichen Blutriten, vom Tieropfer bis zum Menschenopfer. Durch Musik oder die Nachahmung des Vogelgezwitschers wollte er die wohlwollenden Kräfte her­beirufen. Im Paläolithikum gab es die ersten Musikinstrumente aus Rentierkno­chen. Die magischen Praktiken wurden durch Händeklatschen oder das Rütteln von Holzstücken begleitet. Der Klang der Trommel, in der sich der Kriegsdämon versteckte, begleitete die Kämpfe. Kein Kampf konnte ohne magische Gesänge beginnen. Bei einigen polynesischen Stämmen beginnt der Hexer noch heute mit einem gesungenen Bericht über die ruhmvollen Taten. Es ist eine Reminiszenz an Gesänge der primitiven Dichter. Mittel, die einen Zustand der Verzauberung herbeiführen sollen, sind vielleicht eine willentliche oder auch unbewusste Nachahmung der Natur. Gleiches könnte man von dem häufigen und wunderwirkenden Gebrauch von Duftstoffen, Farben und allem sagen, was Zauber ausübt.

  Die Erfahrung lehrt die Mittel, wie man feindliche Kräfte vertreibt. Sie lehrt auch, wie man Tiere erschreckt und schädliche Wesen oder übermenschliche Gei­ster verjagt. Ein Kranker wird geschlagen, verletzt, geschüttelt, gebeutelt und mit drastischen Mitteln jeder Art behandelt, da man überzeugt ist, so den schlechten Dämon vertreiben zu können. G. Zilboorg hat die Aggression gegenüber Kran­ken und Irren in seiner Histoire de la psychologie erschöpfend behandelt. Diese Art der Behandlung des Irrsinns war noch vor zwei Jahrhunderten in den Anstal­ten für Geisteskranke an der Tagesordnung.

Ein früheren Hexern gemeinsames Verfahren war die Zerstörung des feindli­chen Besitzes. Man versuchte, den Schatten zu treffen, verbrannte seine Haare und Nägel, schrieb seinen Namen und übergab ihn den Flammen. Außerdem zer­störte man sein Bild.

  Man glaubte, feindliche Kräfte aufhalten zu können, wenn man ihre Aufmerk­samkeit durch Taten oder Dinge plötzlich auf andere Objekte lenkte. Dies erklärt die Schutzwirkung, die Phallusabbildungen zugeschrieben wurde. Schon bei den Römern erfreuten sie sich großer Beliebtheit. Man trug sie in verschieden ge­formten Amuletten. Eng mit dieser primitiven Idee verbunden ist das Verbren­nen von Bildern oder Schriften, die gefährliche feindliche Kräfte darstellen. Diese Beobachtung konnte man auch bei Geschehnissen in jüngster Zeit machen. Bücher sind Feinde jeder irrationalen Richtung, denn sie stellen ein geschriebe­nes und unerschütterliches Gesetz dar, das nur schwer zu bekämpfen ist.

Kopfbedeckungen mit langen Federn, Kleidungsstücke in grellen und eigenar­tigen Farben ‑ die Uniformen der primitiven Armeen ‑ oder lärmende Begleit­musik sind andere Mittel, um die Identität zu ändern, den Feind zu erschrecken und einen aktiven und direkten Zauber auszuüben.

Eine andere, gleichfalls wichtige Methode der Selbstverteidigung ist das Ver­stecken oder Ändern der persönlichen Unterscheidungsmerkmale, wie es in der Natur geschieht. Dabei benutzt man eine Schutzfarbe und ahmt die Färbung der Umgebung nach oder man verkleidet sich. Vergangenheit und Gegenwart liefern zahlreiche Beispiele. Die Masken zur Veränderung der äußeren Persönlichkeit sind aus dem gleichen Gedanken entstanden. Auf diesen Ursprung gehen die häufigen Namensänderungen zurück, die in allen magischen und später aus ihnen abgeleiteten religiösen Praktiken von großer Bedeutung sind.

Da der Name den Platz des Individuums innerhalb einer Gruppe definiert und festlegt und da er es von den anderen abhebt, ist er von außerordentlicher Bedeutung.  Der Name ist Wesen und wichtigstes Merkmal der Persönlichkeit. Eine Namensänderung ist folglich die tatsächliche und effektive Änderung der Persön­lichkeit. Der primitive Mensch glaubt, durch die Namensänderung seien die Ge­fahren gebannt, die seine frühere Persönlichkeit bedrohten. Es gibt häufige und interessante Analogien zum Glauben der Kinder, die durch Namensänderung oder Verkleiden ein anderer werden oder sich unkenntlich machen wollen. Na­men haben einen Zauber und mystische Kraft, sie sind gleichzeitig Wort und Symbol. Dinge und Menschen haben Namen: Häuser, Waffen, Flüsse und Berge. Die primitiven Völker geben dem Kind in einer feierlichen Zeremonie die Gaben des Vaternamens. Nach ihrem Glauben geht seine Seele oder ein Teil seiner Seele auf den Sohn über. Daraus ist der Brauch entstanden, dem Kind den Namen des Vaters oder Großvaters zu geben. Nach primitivem Brauch muß der Vater in das Gesicht seines Kindes hauchen. Die primitiven Stämme glauben an eine grundsätzliche Verwandtschaft von Namen und Jahr, Tag und Jahreszeit, zu denen der Name gegeben wird. Es gibt zahlreiche Beispiele für Geheimnamen, die nur dem Hexer oder Vater bekannt sind. Niemand soll den Namen kennen, damit das Kind nicht verhext werden kann. Diese Auffassung führte zu dem Verbot, den Namen der Götter auszusprechen. Ein Beispiel ist das Verbot der Bibel, den Tetragramm Namen Gottes auszusprechen. Verändert man den Namen oder lässt man ihn aus, kann man Gefahren bannen und das Schicksal zwingen.

  Geister vertrauter Verstorbener, Freunde oder Feinde, Schützer der Gruppe, der Familie, des einzelnen, aller Lebenden und Toten soll man angeblich beschwören können. Die Beschwörung erreicht die geheimen und unbekannten Lebenskräf­te, die in Himmelskörpern, Quellen, Flüssen, Bäumen, Bergen, in den Eigen­schaften des Menschen und der Dinge liegen. Das Primitive und Unbewusste je­des Menschen glaubt an eine lebendige Kraft, die in jedem Lebewesen und in der Substanz des Kosmos ruht. Das Vorhandensein dieser Kräfte macht es folglich möglich, sie zu beschwören und zu erreichen, um sie günstig zu stimmen oder um sie zu bekämpfen.

In den magischen Praktiken aller Völker ist die Kraft des Namens so groß, daß man ihn nur aussprechen muß, damit die Person erscheint, der er gehörte. Daher ist es im allgemeinen untersagt, den Namen von Toten oder bösen Geistern aus­zusprechen. Hierauf beruht ein Brauch, der auch heute noch praktiziert wird. Er verbietet es, Personen zu nennen, die für ihr böses Geschick bekannt sind. Der Brauch schreibt Gesten vor, wie das Böse zu exorzieren ist, wenn der Name aus­gesprochen wurde. Eine Folge dieser magischen Auffassung ist die Angst, die die orientalischen Völker: Araber, Türken, Juden und Inder gefangen hält, wenn ihre Kinder gelobt werden oder wenn der Name von Fremden ausgesprochen wird. Man fürchtet, die Namensnennung rufe den Neid und das Wirken feindlicher Geister hervor.

Die eigentliche Beschwörung wurde immer als Grundlage magischer Praktiken angesehen. An zahllosen Beispielen, die in neueren Werken angeführt werden und die Beschwörungen der Eingeborenen Haitis, des Zentrums des magischen Voodoo -Kultes, beschreiben, wird schlagend bewiesen, daß die Beschwörung wie alle magischen Riten einen besonderen Geisteszustand der Teilnehmer erfordert. In diesem Geisteszustand überwiegen die Gemütseigenschaften über die Ver­nunft. Es ist eine Erwartungshaltung gegenüber dem magischen Ereignis, dem Wunder. Hexerei durch ein beschwörendes oder erinnerndes Wort, der Zauber, der den Tod zwingt und der den Verstorbenen zur Rückkehr oder Annäherung an die Lebenden veranlasst, sind die Basis aller Methoden, die man jahrhundertelang zur Beschwörung eingesetzt hat. Man erzwingt eine direkte Berührung zwischen dem Bewussten und Unbewussten, zwischen der persönlichen Wahrnehmung des Ober‑Ichs des Individuums und dem kollektiven Unterbewussten. Daraus ent­steht das Bewusstsein des Stamms. Die Beschwörung ist also nur die Objektivie­rung des brennenden Wunsches nach einem direkten Bezug zwischen dem Individuum und seiner Vergangenheit.

  Die Magie aller Zeiten befasste sich neben der Totenbeschwörung mit der Be­schwörung von bekannten und unbekannten Kräften aller Art. Die Beschwörung ist, wie der Name sagt, ein Schrei oder ein Ruf, bei dem die Stimme und der Name von wesentlicher Bedeutung sind. Folglich kann man alle lebenden Kräfte von Tieren, Pflanzen, Himmelserscheinungen (wie Licht, Dunkelheit, Feuer, Blitz usw.), Flüsse, Quellen, Berge und Sterne beschwören. Der primitive Mensch er­kannte in seiner gesamten Umgebung eine höhere Macht, die er zu seinem Vor­teil nutzen oder daran hindern konnte, sich gegen ihn zu stellen.

  Aus dem Gesagten wird verständlich, daß sich für den Primitiven schon früh die Notwendigkeit gegeben haben muss, eine Hierarchie dieser Mächte festzulegen. Das Gesetz der Ordnung, des Systems, der Abstufung verschiedener Mächte ist zweifelsohne eine Voraussetzung, die sich aus den Bedürfnissen des Lebens er­gab. Der Mensch wollte schon früh die Wesen unterscheiden, deren Einfluss eng begrenzt war. Er wollte auch jene kennen, deren Stellung im Kosmos ein Zeichen der Größe ihrer Macht war. Während sich die Kraft eines Tieres oder eines Fein­des auf nahestehende Menschen oder eine Gruppe beschränkte, scheint die Macht der Sonne, des Blitzes oder der Sterne wesentlich größer gewesen zu sein. Daher nahmen sie auch die ersten Plätze in der Rangfolge ein und behielten die­sen Platz in den ältesten religiösen Lehrgebäuden. Obwohl diese Strukturen auf einer komplexen Gedankenassoziation aufbauen und sich auf eine entwickelte Vernunft stützen, behalten sie in den wesentlichen Prinzipien die hierarchische Anordnung. Die fortschrittlichen Kulturen und sogar die monotheistischen Reli­gionen weisen dieses Merkmal auf. Es erscheint in der Hierarchie der Heiligen, Engel und Teufel, in ihren Einteilungen und Unterteilungen.

  Der Einsatz eines Mittlers, der diese Kräfte beschwört und ihre geplante Ak­tion nützlich machen soll, ist die Folge dieser Einteilung. Ein solches Wirken er­fordert die Kenntnis zahlreicher Fakten, die Anerkennung mächtiger Kräfte, die genaue Einschätzung jener, die ausgewählt werden müssen, und schließlich die richtige Anwendung der notwendigen Mittel. Im weiten Feld der evokatorischen Magie ereignet sich die gleiche soziale Evolution wie in der Industrie und den bil­denden Künsten. Zunächst war der Mensch Köhler und Schmied, Jäger und Er­bauer von Palisaden, Bauer und Hirte. Mit der Erweiterung der Kenntnisse und der Verfeinerung der Techniken und mit der ständigen Ausweitung der Bedürf­nisse bekam jedes Gruppenmitglied auch spezielle Aufgaben. Die Aufspaltung könnte man mit den Aufgaben der Zellgruppen bei der allmählichen Entwicklung eines Organismus gleichsetzen.

Der Beschwörer ist also ein Mensch mit dem nötigen Wissen, um die sichtbaren und unsichtbaren Mächte durch Taten und Gesten zu beschwören. Diese waren zunächst sehr einfach. Man rief einfach jene Mächte an, deren Wirken man wünschte. Zeichnungen primitiver Völker zeigen, wie die von Gesang begleiteten Gesten und Tänze diesem Ziel dienten. Diese und andere noch zu erläuternde Fakten beweisen, daß man Wörtern und rhythmischen Gesten in den evokatori­schen Praktiken eine wesentliche Funktion gab. Der Rhythmus der Wörter oder der Bewegungen, manchmal langsam und monoton, dann wieder unharmonisch und grell, wurde immer als wesentliches Element der Beschwörung angesehen. Darin muß man vielleicht den Ursprung aller Beschwörungsformeln suchen. Sie bestehen aus rhythmischen und nicht endenden Wiederholungen der gleichen Worte oder von Worten in der gleichen Tonlage. Poesie und Musik stammen wahrscheinlich aus dieser Quelle, aus der Macht des Rhythmus, wenn man ok­kulte und ferne Mächte ruft.

Das Wirken eines Mittlers scheint also ein notwendiger Beginn zu sein. Ent­sprechend der Hierarchie der übernatürlichen Wesen hat sich logischerweise eine Hierarchie der Beschwörer herausgebildet. Sie haben entweder niedere Wesen unter ihrer Kontrolle, oder sie wenden sich an höhere Mächte. Ein klassisches Bei­spiel ist der biblische Bericht über die Magier des Pharaos. Sie wetteiferten mit Moses. Dabei stellte sich die Überlegenheit des Moses und der von ihm angerufe­nen Mächte heraus. Sie waren weitaus mächtiger als die der ägyptischen Magier, denen es nur gelang, ganz elementare Wunder zu wirken.

  Die Beschwörung ist hauptsächlich die Erinnerung an die Vergangenheit, die Ob­jektivierung eines Wunsches, die Projektion von Phänomenen, die sich im Indivi­duum abspielen, sowie das Bedürfnis des Menschen, an seine Zukunft und an die Erinnerung von vergangenen Ereignissen anzuknüpfen. Die Erinnerung an die Vergangenheit nimmt die Zukunft vorweg. Die Beschwörung reicht von der ma­gischen und rituellen Anrufung der Dämonen und Toten bis zu den modernen Erinnerungen an Gestalten und Ereignisse der Geschichte der Menschen oder Rassen. Der Geisteszustand während oder vor der Beschwörung, der zeitweise gegenwärtige Auffassungen und Personen mit dem lebendigen Bild der Vergan­genheit überlagern kann, ist in den Abstufungen sehr unterschiedlich. Die Be­schwörung bildet eine Brücke, schafft sogar ein gewisses Gleichgewicht in der ewigen Antithese von Bewusstem und Unbewusstem. Worte und Musik, magische Beschwörer und selbstsichere Zauberer dienen somit einem genau umrissenen Ziel.

Der Hexer oder Zauberer beschwört die Vergangenheit, um die Zukunft vor­herzusagen oder zu versprechen. Er beschwört die Erinnerung an Böses und erlit­tene Schmerzen, an Bedrohungen des Individuums oder der Gruppe. Er betont, übertreibt sie, um das Bedürfnis nach Schutz oder Angriff zu beweisen. Die anti­soziale magische Beschwörung, die durch Frustration geleitet ist und zu Aggres­sion mit Rachegedanken oder Repressalien führt, um eine politische oder wirt­schaftliche Herrschaft zu begründen, entspricht der totalitären Propaganda. Man denkt unwillkürlich an die Aufrufe während des Tausendjährigen Reichs: die Er­oberung Roms, die jüdische Bedrohung, die imperialistische oder bolschewisti­sche Gewaltherrschaft und dergleichen.